Heidelberg – 28. April 2012

Rede aus Anlass der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

OB Würzner würdigt herausragende Verdienste um die Stadt Heidelberg

Dank an den Bundespräsidenten, den Ministerpräsidenten, bzw. in seiner Vertretung Herrn Minister Nils Schmid, für die Verleihung des BVK. Gedankt sei auch allen, die eine positive Stellungnahme zu dieser Verleihung abgegeben haben.

Alle meine Berufe und die damit verbundenen Tätigkeiten haben mir viel Freude gemacht – auch wenn das meist harte Arbeit und viel Stress bedeutete. Ich habe gerne gearbeitet – in der Schule, Gemeinderat, dem Europäischen Parlament und im Rathaus als Oberbürgermeisterin, in der SPD und in vielen Gremien von der lokalen bis zur internationalen Ebene.

Nun bin ich schon so alt, dass ich geehrt werde für das, was mein Beruf war und wofür ich auch bezahlt wurde – zumeist von Steuerzahlern. Da hat man eine besondere Verantwortung, sorgsam mit einer Aufgabe umzugehen. Es ist also kein besonderes Verdienst, etwas getan zu haben – trotzdem freut mich natürlich diese Anerkennung.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, zu einer Entwicklung etwas zu sagen, die sich in diesen über 40 Jahren so sehr verschärft hat, dass sie auf allen politischen Ebenen bekämpft werden muss. Es geht mir um die Destabilisierung unserer Gesellschaft.

Als Beispiel möchte ich auf die noch dramatischen Tendenzen in den USA nennen. Anfang dieses Jahres habe ich dort den Vorwahlkampf der Republikaner näher miterlebt. Ihr aussichtsreichster Kandidat, Mitt Romney, trat vor die Menschen mit einer bemerkenswerten, skandalösen Äußerung. Er sagte: Um die ganz Reichen brauchen wir uns nicht zu kümmern, die regeln alles selbst. Und um die ganz Armen brauchen wir uns auch nicht zu kümmern, die werden vom Staat versorgt. Nur um den Rest der Bevölkerung geht es mir, der interessiert mich! Welches Bild von Gesellschaft hat dieser Mensch, welches von der Wirklichkeit, die ihn umgibt und geschieht Ähnliches hier?

In Deutschland war die Lage über lange Zeit recht stabil, dafür gab es Voraussetzungen, von denen ich drei kurz schildern möchte.

  1. Der Abstand zwischen oben und unten war früher überschaubar und damit für alle weitgehend akzeptabel. Heute verdient aber der reichste Manager allein durch seine Aufsichtsratstätigkeit in einem Unternehmen im Jahr so viel wie zwanzig Durchschnittsverdiener in Vollzeitarbeit. (Ferd. Piech, VW, FR 25.04.2012) Es gibt keine Leistung eines arbeitenden Menschen, die so viel mehr wert ist als die eines anderen. Dazu wird der Arbeitslohn unten immer unsicherer, Leiharbeit, Niedriglohn, Scheinselbständigkeit, dazu Arbeitslosigkeit oder nur befristete Anstellungen verunsichern Menschen. Es ist berechenbar, dass viel zu viele Menschen auch im Alter von öffentlichen Leistungen abhängig sein werden. Es muss viel mehr dafür getan werden, dass dies verhindert wird, denn die Kosten sind später nicht zu tragen. Kein Mensch – auch kein Kind aus Migrantenfamilie – darf ohne bestmöglichen Abschluss von der Schule gehen und jedes braucht eine ebensolche Berufsausbildung. Die Schere darf nicht immer weiter auseinander gehen, überall, wo öffentlicher Einfluss möglich ist, muss er auch kraftvoll genutzt werden.
  2. Deutschland wurde beneidet – von manchen belächelt –, weil es hier Tarifparteien gibt und Arbeitgeber und Arbeitnehmer Tarif aushandeln. Das gab Verlässlichkeit und Stabilität und beruhigte die regelmäßig notwendigen Auseinandersetzungen um die gerechte Verteilung des gemeinsam erarbeiteten Gewinns. Seltene Streiks unterschieden uns deshalb von vielen auch benachbarten Ländern. Heute gibt es diese Sicherheit für viele nicht mehr, ganze Wirtschaftszweige arbeiten jenseits von tariflichen Bindungen, prekäre Arbeitsverhältnisse prägen das Bild. Es kann nicht angehen, dass die Gesellschaft den kärglichen Lohn von voll arbeitenden Menschen auf das Existenzminimum aufstocken muss, weil unsägliche Gewinnerwartungen anderer ihre angemessene Entlohnung verhindern. Wir brauchen wieder die Sicherheit, dass Menschen für ihre Arbeitskraft auf Dauer den gerechten Lohn erhalten, es darf keine Tätigkeit geben, für die es keine geregelte Bezahlung gibt. Und es ist skandalös, dass sogar die OECD feststellen muss, dass durchschnittlich entlohnte Arbeitnehmer bei uns mehr Sozialabgaben zahlen müssen als Top-Verdiener und Arbeit ungewöhnlich stark, Vermögen und Erbschaften dagegen ungewöhnlich schwach belastet werden im Vergleich mit den anderen Ländern. (FR 26.04.2012) Das muss sich wieder ändern!
  3. Wir hatten in Deutschland immer einen gewissen Ausgleich der Lebensverhältnisse durch starke Kommunen, die das Leben der Menschen überall human machten. Gerade in Zeiten der Globalisierung wächst die Unsicherheit vieler Menschen, sie brauchen ein stabiles Zuhause als Gegengewicht, in dem sie sich sicher fühlen. Die Ausstattung mit guter Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen zu akzeptablen Preisen, mit kulturellen Einrichtungen und intakter Umwelt erleichterte auch schwierige Lebens- und Arbeitsbedingungen. In diesen letzten Jahren wurden jedoch immer mehr Aufgaben ohne ausreichende Finanzierung auf die Kommunen verlagert, dazu wurden die Einkünfte instabiler, so dass viele ihre Leistungen verringern oder sogar ganz einstellen mussten. Theater und Büchereien wurden geschlossen, so genannte freiwillige Aufgaben gerieten immer mehr unter Druck. Dringend notwendige Aktivitäten wie z.B. die Schulsozialarbeit (sh. Punkt 1) zur Sicherung von Chancengleichheit können von vielen Städten kaum geleistet werden. Zunehmende Privatisierung von Dienstleistungen verschärft die soziale Ungerechtigkeit. Dem muss Einhalt geboten werden! Die Kommunen müssen eine ausreichende Finanzierung behalten, bzw. wieder bekommen. Bildung, Sicherheit, Gesundheit, Energie, Wasser, der Schutz der Umwelt müssen auch in Zukunft öffentliche Leistungen bleiben, dazu brauchen Kommunen den finanziellen und rechtlichen Rahmen. Eine nachhaltige Entwicklung, die Ökonomie, Ökologie und Soziales gemeinsam nach vorne bringt, ist nur so zu sichern.

Es bleibt also noch viel zu tun, und wir müssen darauf achten, dass Erreichtes nicht leichtfertig wieder aufgegeben wird.

Ich habe versucht, am jeweiligen Ort meine Aufgabe zu erfüllen, zusammen mit großartigen Partnerinnen und Partnern in der Familie, dem Freundeskreis, der Politik, den Verwaltungen und mit den vielen Engagierten, die ich in der Öffentlichkeit angetroffen habe. Ihnen allen sei hier auch noch einmal gedankt.