Stuttgart – 25. April 2009

Theodor Heuss Preis 2009: Schlusswort

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44. Verleihung des Theodor Heuss Preises
Bürgerrechte, Bürgermeister, Bürgerinitiativen:
Demokratie lokal gestalten

Schlusswort von Beate Weber

“Lassen Sie sich von der Gesundheit der Demokratie, die uns eben demonstriert wurde, anstecken.

Für mich war der Begriff der Demokratie mit zwei unvergesslichen Bildern verbunden, ein drittes ist vor kurzem dazugekommen:

Als in Südafrika die ersten allgemeinen Wahlen durchgeführt wurden, zeigten die Medien die langen Reihen aufrechter Menschen, die voller Stolz und Würde in ihrem Leben in langen Schlangen standen und darauf warteten, zum ersten Mal in ihrem Leben wählen zu dürfen.

Als die Mauer zwischen Ost- und Westberlin vor bald genau 20 Jahren fiel, strahlten die Menschen von innen heraus, es gab unbeschreiblichen Jubel darüber, das gemeinsam und friedlich erreicht zu haben.

Ganz frisch noch ist der Eindruck vom Wahlabend in den USA, als in Chicago die Menschenmassen nicht nur ihren neuen Präsidenten bejubelten, sondern sich in ihren Gesichtern auch der Stolz darüber widerspiegelte, dass sie selbst dieses Ergebnis bewirkt hatten.

Alle drei Ereignisse prägte eine die Menschen begeisternde Überzeugung, die das Ereignis in Berlin begleitet hatte, nämlich „Wir sind das Volk“.

Die Zeiten, als Könige noch sagen durften „L´Etat c´est moi“, sind – zumindest in großen Teilen der Welt – heute lange vorbei. Aber das muss nicht für immer so bleiben.

In einem der Texte für die heutige Veranstaltung über Grenzach-Wyhlen wird Max Frisch zitiert: „Demokratie heißt, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen“ – genau dies zeigte sich in den eben beschriebenen Bildern und bei unseren Preisträgern.

Nicht immer vermittelt bedauerlicher Weise Demokratie heute noch dieses Glücksgefühl. Wahlen werden bei uns oft nicht mehr ernst genommen, die Wahlbeteiligung schrumpft in erschreckendem Maße. Je niedriger die Prozentsätze sind, über die an den Wahlabenden berichtet wird, desto deutlicher muss uns sein, wie schmal der Grat ist, auf dem wir gehen zwischen demokratischen Gemeinwesen und solchen, die autoritär geführt werden. Dazu wissen wir aus schmerzlicher Erfahrung, dass auch totalitäre Systeme aus demokratischen Wahlen hervorgehen können. Allein die Rechtsform schützt nicht vor Missbrauch und negativen Veränderungen.

Wir müssen mehr Demokratie wagen um sie zu sichern!

Deshalb müssen Wege gefunden werden, den Menschen die Demokratie wieder nahe zu bringen, sie einzubeziehen – auch in die tägliche Umsetzung, denn Demokratie vererbt sich nicht, sie muss immer wieder neu gelernt, gelebt und gestaltet werden.

Wir müssen mehr Demokratie wagen, wie das Willy Brandt gefordert hat, damit wir sie sichern.

Sebastian Reißig aus Pirna sagte gestern: Man kann die Feuerwehr auch nicht abschaffen, wenn es lange nicht gebrannt hat – man muss immer aufmerksam bleiben, üben, schulen, aufklären – so ist es auch mit der Demokratie.

Die heutige Theodor Heuss Preisverleihung bestätigt, dass, wie es unser Grundgesetz sehr deutlich sagt, alle Staatsgewalt vom Volke aus geht, wobei die Gewählten mit besonderem Auftrag versehen werden. Aber diese repräsentative Demokratie schließt die vielen, möglichen Formen der direkten Beteiligung der Menschen nicht aus.

Denn wenn die Menschen das Volk sind, dann können sie im direkten Zusammenwirken gemeinsam mit den Gewählten das Gemeinwesen gestalten, indem sie in den Zeiten zwischen Wahlen an der Erarbeitung von Zielen, der Gestaltung und Umsetzung von Ideen mitarbeiten. Nur so behalten sie das Interesse an ihrem Ort, ihrem Land, ihrem Staat und geben ihre gewichtige Lebens- und Berufserfahrung weiter zu deren Verbesserung. Dieses Lernen und Leben von Demokratie am Ort sichert sie auch für den gesamten Staat.

Genau dies haben unsere Preisträger mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, aber auf vergleichbare Art und Weise getan. Die gewählten Bürgermeister haben gemeinsam mit ihren Bürgerinnen und Bürgern die Initiative ergriffen, und damit die Demokratie wieder alltäglich erlebbar gemacht. Und sie haben damit in ihren Städten und Gemeinden eine lebendige lokale, demokratische Kultur geschaffen, vor allem ihnen aber auch eine bessere Gegenwart und Zukunft gegeben.

Sie haben ihren Orten ihre Würde wiedergegeben, die ihnen durch das Auftreten von Nazi-Horden genommen worden war, wie in Wunsiedel.

An vielen Orten sind Menschen bereit zu solchem Engagement, weil sie sehen, dass es notwendig und sinnvoll ist und dringend benötigt wird.

Sie hatten Lust dazu und Vertrauen in die eigene Kraft, und sie erwarben dabei zusätzliche Qualifikationen wie in Herten. Sie haben in Achtung voreinander gemeinsam das Schicksal ihrer Gemeinde in die Hand genommen.

Nicht überall jedoch finden sie dabei Gehör und werden aktiv unterstützt.

Allzu oft ersticken Aktivitäten an reinem Verwaltungshandeln, das mit solcher Bewegung und Kreativität nicht umzugehen gelernt hat, sich unter dem Druck der unzähligen, täglichen Anforderungen erschöpft und sich hinter dem Recht und finanziellen Restriktionen versteckt.

Gestern wurde auch deutlich, dass es selbst beim Recht anders geht, notfalls bis hin zum gemeinsamen zivilen Ungehorsam von Bürgermeister und Bürgerinitiativen – vor allem aber beim Druck auf den Gesetzgeber, das Recht zu ändern dort, wo es offenkundig unzureichend ist.

Diejenigen, die in den Rathäusern sitzen, ob gewählt oder in der Verwaltung, sollen durch die Preisverleihung ermutigt werden, sich auf solche Prozesse zuerst einzulassen und sie dann auch zu fördern. Sie sollen den Mut bekommen, immer eine offene Tür zu haben. Sie werden den Einsatz vielfach zurückbekommen durch eine verbesserte Qualität ihrer Gemeinwesen.

Die heutigen Preisträger haben mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und zu unterschiedlichen Themen in ihren Gemeinden von unten und oben gleichermaßen demokratisch gehandelt, selbst Verantwortung übernommen und damit die Demokratie zusammen mit denen, die hinter ihnen stehen, zu ihrer höchstpersönlichen Angelegenheit gemacht. Ihre Vorgehensweise kann wie eine Blaupause auch von anderen Kommunen und deren Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden.

Ihnen allen sei herzlich gedankt, ebenso wie den unzähligen anderen, die täglich in ihren Gemeinden, sei es im Rathaus oder von draußen

unsere Demokratie lebendig halten und sie so schützen vor den alltäglichen und immer präsenten Gefährdungen.

PV 09 Schlusswort Weber 1„Wer die Demokratie voranbringen will, sollte nicht auf die Erlaubnis dafür warten“, so hieß es im Beitrag aus Wunsiedel.

Im Namen der Theodor Heuss-Stiftung danke ich Ihnen allen für Ihr Kommen und Ihre Unterstützung für eine aktive Demokratie im Sinne von Theodor Heuss.

Die Preisträger haben ein kleines Stück festen Boden für unsere Demokratie geschaffen und uns Mut gemacht.”